«Heute sind alle unsere Prozesse digitalisiert»

    Die Lernwerkstatt Olten geht gestärkt aus der Covid-Krise. Aktuell investiert der renommierte Bildungsanbieter mit über 30 Standorten, mehrere Hunderttausend Franken in den Aufbau einer neuen Lernplattform und in die Produktion von Digital Snacks, um so den individuellen Bedürfnissen der Teilnehmenden gerecht zu werden. CEO Daniel Herzog erklärt, wieso Lernen vermehrt zeit- und ortsunabhängig stattfinden wird, und spricht über Chancen für neue Methoden dank der Digitalisierung sowie über das Blended Learning-Format.

    (Bilder: zVg) Daniel Herzog, CEO Lernwerkstatt Olten: «Wir wollen unsere Teilnehmenden sowohl im analogen, als auch im virtuellen Ausbilden und Coachen fit machen.»

    Jetzt geht es im Tertiärbereich wieder in den Präsenzunterricht zurück. Wie ist die Stimmung im Klassenraum?
    Daniel Herzog: «Die Teilnehmenden freuen sich, dass sie sich wieder vor Ort treffen können. Die Gespräche in der Kaffeepause oder beim Mittagessen haben vielen gefehlt. Es gibt aber auch ganze Klassen, welche die Vorzüge des virtuellen Unterrichts so stark schätzen gelernt haben, dass sie weiterhin einen Teil des Lehrgangs virtuell besuchen wollen.»

    Im März vor einem Jahr mussten Sie innert kürzester Zeit auf virtuelle Kurse umstellen. Die Lernwerkstatt Olten war bereits nach kurzer Zeit auf Kurs. Was waren Ihre Vorteile?
    «In der Tat besuchten die ersten beiden Klassen bereits 18 Stunden nach der Pressekonferenz des Bundesrates ihren Unterricht in virtueller Form mit dem Videokonferenzsystem Zoom. Wir hatten in den vorhergehenden Jahren die Digitalisierung im Bildungsbereich bereits aufgenommen und unter dem Brand www.digital-training.ch ein Angebot zur digitalen und virtuellen Unterstützung von Lern- und Coachingprozessen aufgebaut. Dieses Know-how half uns, schnell zu reagieren.»

    Wie haben Sie die Kursleiterinnen und -leiter in der Handhabung von Zoom & Co fit gemacht?
    «In wenigen Tagen haben wir 80 Kursleitende in insgesamt fünf Webinaren auf die neue Form des Unterrichtens vorbereitet. Das Ganze hat sofort eine nie erwartete Dynamik angenommen. Die Kursleitenden organisierten untereinander Erfahrungsgruppen, halfen einander mit Tipps und Tricks und hospitierten sich virtuell im Unterricht. Für die vertiefte Ausbildung der Kursleitenden wurde das Angebot der «Lernwerkstatt-Live-Webinare» mit heute 34 Themen rund um das virtuelle Lehren und Coachen ergänzt. Dieses Angebot ist heute unter www.live-webinare.ch öffentlich zugänglich.»

    Wie haben Ihre Teilnehmenden den Einstieg in die Virtualität geschafft?
    «Wir stellten uns tatsächlich die Frage, ob denn alle unsere Teilnehmenden den Schritt ins virtuelle Schul-Zeitalter problemlos schaffen würden. Über Nacht hat ein Kursleiter ein Erklärvideo zur Installation von Zoom erstellt. Wir schufen die Möglichkeit für Testmeetings mit unseren Mitarbeitenden. Dieses Angebot besteht auch heute noch und wurde inzwischen von weit über 1000 Personen genutzt. Alle haben mit mehr oder weniger Unterstützung den Einstieg in die Virtualität geschafft. Es hat sich gezeigt, dass sich die Teilnehmenden schnell auf das neue Setting einliessen, das virtuelle Lernen als zusätzliche Lernchance sahen und richtig Spass hatten.»

    Was waren die grössten Herausforderungen bei der Krisenkommunikation?
    «Wir hielten uns an den Grundsatz, in Krisen schnell und transparent zu kommunizieren, denn die Verunsicherung war auf allen Seiten gross. Wir hatten nach dem Bundesratsentscheid gerade mal eine Stunde Zeit um alle Klassen an unseren 30 Standorten zu erreichen, bevor um 17 Uhr der Unterricht beendet wurde. Auf der Website hatten wir am gleichen Abend einen Informationsbereich für die Teilnehmenden aufgeschaltet. Alle Kursleitenden erhielten in Form einer E-Mail die Zusicherung der Geschäftsleitung über die Aufrechterhaltung des Unterrichtsbetriebs und Antworten zu den wichtigsten Fragen. Für den Samstag wurde ein Telefondienst für Kunden und externe Mitarbeitende sichergestellt. In den darauffolgenden Monaten haben wir die Kommunikation zu allen Stakeholdern über verschiedene Kanäle intensiv gepflegt.»

    Virtuelles Lernen als zusätzliche Lernchance: Die Teilnehmenden der Lernwerkstatt Olten liessen sich schnell auf das neue Setting ein.

    Die Corona-Krise hat in der Bildung einen noch nie dagewesenen Innovationsschub ausgelöst. Also eine Win-Win-Situation für die Aus- und Weiterbildungsbranche?
    «Das World Economic Forum (WEF) spricht davon, dass sich die Corona-Zwangspause im Unterrichtswesen als Katalysator für eine längst fällige Modernisierung im Bildungsbereich erweisen könnte. Bei der Lernwerkstatt Olten trifft dies definitiv zu. Heute sind alle unsere Prozesse digitalisiert. Grundsätzlich bräuchten wir keine Schulungsräume und keine Büroräumlichkeiten mehr. Natürlich hat nicht die ganze Branche gleich gut reagiert. Ein grosser Teil wird gestärkt aus der Krise herausgehen, einigen Anbietern hat Corona aber auch das Genick gebrochen.»

    Künftig wird individualisiertes Lernen die Zukunft prägen. Wie sieht das konkret aus?
    «Vor allem die betriebliche Aus- und Weiterbildung fordert die Individualisierung der Bildung schon seit Jahren. Lernen wird vermehrt zeit- und ortsunabhängig stattfinden. Lernangebote werden dann zur Verfügung stehen, wenn neue Kompetenzen benötigt werden. Tempo und Strategie der Know-how-Aneignung wird jede Person selber steuern können. Die Erfahrungen im Rahmen der Corona-Krise zeigen: Dies ist möglich.»

    Die Digitalisierung öffnet Chance für neue Methoden. Wie gestalten sich diese neuen Möglichkeiten und Rollen?
    «Die Möglichkeiten der Digitalisierung öffnen Chancen für neue Methoden, die nahe am ursprünglichen Lernen des Menschen sind. Es werden immer mehr spielerische Lernsettings und Applikationen entwickelt, die Teilnehmende in den Bann ziehen und entdeckendes Lernen ermöglichen. Die Virtualisierung und Individualisierung bedarf aber auch einem neuen Rollenverständnis. Der klassische Dozent wird zum Lernbegleiter, Mentor und Online-Tutor. Die Verantwortung für das Lernen verschiebt sich weg von der Lehrperson hin zu den Lernenden. Je nach Lernbiographie werden sich vor allem auch bildungsferne Personen in den veränderten Lernsettings nicht sofort zurechtfinden. Neue Rollen benötigen neue Kompetenzen. Nicht jeder gute Dozent ist auch ein guter Lerncoach. Nicht jede und jeder Lernende ist affin zu den neuen Technologien.»

    Wie sieht die Zukunft der Lernwerkstatt Olten aus, respektive was ändert sich konkret?
    «Viele unserer Angebote bieten wir in Zukunft im Blended Learning-Format an. Dabei werden Präsenzveranstaltungen mit virtuell stattfindenden Kurstagen und individuellem Lernen mit unserer Lernplattform kombiniert. Wir bieten ab nächstem Jahr auch ganze Lehrgänge wahlweise im Blended Learning-Format oder zu 100 Prozent im virtuellen Kurssetting an, beispielsweise unseren 12-tägigen Coaching-Lehrgang (www.coach-werden.ch). Aktuell investieren wir mehrere Hunderttausend Franken in den Aufbau einer neuen Lernplattform und in die Produktion von Digital Snacks. Mit diesen Digital Snacks können unsere Teilnehmenden die Lerninhalte nach ihren individuellen Bedürfnissen orts- und zeitunabhängig vertiefen und festigen. Wir bilden Erwachsenenbildner/innen, Coaches und Betriebliche Mentorinnen und Mentoren aus. Diese wollen wir damit sowohl im analogen, als auch im virtuellen Ausbilden und Coachen fit machen. So sind sie für die Zukunft gewappnet, was auch immer diese bringen wird.»

    Die Kehrseite der Corona bedingten Zwangspause ist die Bildungsschere, die sich weiter öffnet. Wie kann man hier entgegenwirken?
    «Ich denke auch, dass zum einen viele Menschen vom vereinfachten und individualisierten Bildungszugang profitieren, sich auf der anderen Seite die Bildungsabstinenz aber erhöht. Nicht alle Menschen sind technologieaffin und wollen sich auf die neuen Settings einlassen. Sie werden zu Bildungsflüchtlingen, welche die immer weniger werdenden, reinen Präsenzveranstaltungen besuchen. Oder sie verabschieden sich ganz aus der Weiterbildung. Ohne clevere, wenn es sein muss auch staatliche Massnahmen wird sich in der Schweiz die Bildungsschere öffnen.»

    Haben Sie noch ein paar Tipps für den virtuellen Unterricht?
    «Für Bildungsanbieter habe ich dazu in einem Blog vor einiger Zeit neun Tipps formuliert (www.lwo.ch/9-tipps). Den Teilnehmenden von virtuellen Kurstagen empfehle ich am Unterricht mit einem Stehpult teilzunehmen – mal zu sitzen und dann wieder zu stehen und sich etwas zu bewegen. Das Stehpult kann man gut auch selber ‘basteln’, indem man Laptop bzw. Bildschirm auf dem Tisch auf eine Kiste stellt, um die korrekte Höhe zu erhalten. Virtuelles Lernen macht ebenso viel Spass wie der Präsenzunterricht. Dazu sollte man aber mit eingeschalteter Kamera am Unterricht teilnehmen und sich rege daran beteiligen.»

    Interview: Corinne Remund

    Vorheriger Artikel«Bedürfnis nach Sicherheit und Transparenz ist gewachsen»
    Nächster ArtikelIndividuell und sorgenfrei leben